

Jan Opiéla, kath. Seelsorger
für ‚Roma u. Sinti‘ im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz
und Präses der Katholischen Landvolkbewegung im Erzbistum Köln
Sonntags-Ge-danken – 1. Fastensonntag im Jahreskreis A‘2023, 26.02.2023
Aus Anlass des Kriegsbeginns in der Ukraine vor einem Jahr mit einer Betrachtung meines Messkelches
Der Besuch des Bundesverteidigungsministers auf dem niedersächsischen Truppenübungsplatz in Munster, um sich über die Ausbildung ukrainischer Soldaten an deutschen Panzern zu informieren, brachte urplötzlich eine direkte Verbindung von Realpolitik zu Realpräsenz.
Darunter wird theologisch die Vergegenwärtigung der Nähe Gottes verstanden, welche sich im Kreis von Gläubigen und Priester während der Eucharistiefeier unter den gesprochenen Einsetzungsworten Jesu – wie bei seinem letzten Abendmahl – ereignet. Dabei werden Brot und Wein meist in besonders gestalteten liturgischen Geräten präsentiert und hier, in dem von mir verwendeten Kelch (Bilder siehe unten), liegt die Verbindung zum Krieg, der wie in der Ukraine nun schon ein Jahr andauert.
In den Kelch eingearbeitet, förmlich eingeschlagen, ist ein deformiertes Geschoßteil, der Splitter einer 120’er Mörsergranate, welche ich zu meiner Bundeswehrzeit (1974/75) als Teil einer Bedienmannschaft auf genau diesem Truppenübungsplatz verschossen hatte. Nach einem gefechtsmäßigen Scharfschießen auf ein 3 km entfernt liegendes und mit Zielobjekten präpariertes Gelände, nahm ich rein zufällig an einer Begehung des mit mehrstündigen Feuer belegten Gefechtsfeldes teil und wurde so ganz unwillkürlich Zeuge der von mir mitverursachten Zerstörungen: eine bis zur Unkenntlichkeit zerpflügte Schweinehälfte; ein über und über mit Granatsplittern gespickter Holzstapel; ein zu einem Sieb gelöchertes Autowrack und ein mit kleinsten Einrissen versehenes, zuvor straff gespanntes Leinentuch. Von einer magischen Kraft der zerstörerischen Technik angezogen und doch zugleich abgeschreckt, nahm ich ganz instinktiv – trotz Verbotes – einzelne, wahllos umherliegende Granatsplitter an mich und musste sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen aufbewahren.
Fast 25 Jahre später sollten in der theologisch fundierten Gestaltung des eigenen Messkelches dann ‚beide‘ Realitäten ‚greifbar‘ zusammengeführt werden. Denn mit derselben Wucht, wie solche Splitter auf allen Kriegs- und Schlachtplätzen dieser Erde auf Körper treffen und Menschenleiber zerreißen, schlägt hier ein derartiges ‚Schrottteil‘ auf das wohlgeformte Äußere eines Trinkgefäßes. Tief bohrt sich dieser Fremdkörper in das einem Gerüst gleich stabile Gitterwerk und deformiert die architektonisch, vormals ebenmäßige Form derart, dass selbst die Kuppa (obere Schale des Trinkgefäßes) dem Druck nicht standzuhalten vermag und sich gegenseitig nach innen durchdrückt.
Genau das zeigen uns die täglichen Kriegsberichte, wenn über Tote hinweg aufgerissene Wohnblocks zu sehen sind, wo die fein gesponnene Infrastruktur von Familienleben oder öffentlicher Versorgung zertrümmert daliegt.
Denn nach einem solchen Einschlag ist nichts mehr so wie zuvor geplant; alles wohl Geordnete ist aus den Fugen geraten und lässt sich von uns nicht mehr in die Ausgangsposition bringen. Wir können nur noch verletzt in uns still hineinleidend dastehen ob der erdrückenden Grausamkeiten, nicht einmal mehr fähig zur Anklage, da wir Menschen es selber sind, die die fein gewobene Struktur göttlicher Liebe durch den aus der Freiheit der Kinder Gottes geborenen Willen zerstören.
Selbst wenn mit diesem Kelch noch so viele Erinnerungsmahle gefeiert werden und die verletzte Kuppa immer und immer wieder mit dem heiligsten Element angefüllt wird, die Deformation bleibt, die Scharfkantigkeit des Splitters bleibt, der Einschlag in die architektonisch, vormals ebenmäßige Form bleibt – alles bleibt!
Und doch hat sich alles verändert, so versuchen wir zu glauben und kann erschütternder nicht belegt werden als mit diesem Tatsachenbericht eines Überlebenden von Auschwitz:
‚Die SS erhängte zwei jüdische Männer und einen Jungen vor der versammelten Lagermannschaft. Die Männer starben rasch, der Todeskampf des Jungen dauerte eine halbe Stunde. ‚Wo ist Gott? Wo ist er?‘ fragte einer hinter mir. Als nach langer Zeit der Junge sich immer noch am Strick quälte, hörte ich den Mann wieder rufen: ‚Wo ist Gott jetzt?‘ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: ‚Wo ist er? Hier ist er… Er hängt dort am Galgen…‘ (aus: D. Sölle, Leiden, Stuttgart 1980).
Ebenso nun auch hier eine ganz reale Verbindung, denn nicht unweit vom Truppenübungsplatz befinden sich die Gedenkstätte und die Grabhügel des KZ Bergen-Belsen.
zur Diskussion und für Rückmeldungen jan.opiela@web.de




der Kuppa als ständige Mahnung angebrachte Auftrag zum Frieden: die Friedenstaube